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Sechs Argumente für einen neuen kommunalen Wohnungsbau

Sechs Argumente für einen neuen kommunalen Wohnungsbau, Berlin, November 2015.




LINKER ABSCHIED VOM ÖFFENTLICHEN WOHNUNGSBAU?

Der Berliner LINKEN ist Neubau zu teuer. Sie will ihn den Privatinvestoren überlassen – wie der Senat

Die Berliner Landespolitik war nicht vorbereitet, als Proteste und Demonstrationen 2011 die Wohnungsfrage wieder auf die politische Tagesordnung gesetzt haben. Der Senat brauchte über zwei Jahre, um einen „Stadtentwicklungsplan Wohnen“ vorzulegen. Dieser Plan präsentiert den profitablen Neubau von Wohnungen zu entsprechend hohen Mieten als Lösung des Problems, wenn nur einige kleinere sozialpolitische Verzierungen hinzugefügt werden.

Noch länger suchte die Berliner LINKE ihren Weg in der Wohnungspolitik. Wie alle Suchenden bewegte sie sich dabei zunächst in verschiedene Richtungen. Und was sie an verschiedenen Stellen gefunden hatte, brachte sie nach Haus. Breit angelegt war der Leitantrag zur Wohnungspolitik, den der Landesparteitag Ende November 2013 beschlossen hat. Ein Jahr später hat sich die Position der Partei geklärt: Aus der Diskussion um den Wohnungsneubau in Berlin hat sich die LINKE verabschiedet. Das Warum findet sich in den „Beiträgen zur Stadtpolitischen Debatte“, die von der Fraktion im Abgeordnetenhaus unter dem Titel „Kommunaler Wohnungsbau – sozial und wirtschaftlich“ veröffentlicht worden sind. Kern ist ein bestelltes Gutachten des Ökonomen Matthias Schindler. Darin wird der Vorschlag untermauert, die öffentliche Wohnungswirtschaft in Berlin durch die Zuführung von 100 Millionen Euro Eigenkapital pro Jahr an die 6 städtischen Wohnungsgesellschaften zu stärken. Und es wird ausführlich begründet, wofür dieses Geld eingesetzt werden soll: vorrangig für eine Instandsetzung und Modernisierung des Bestandes. Nicht aber für den Neubau. Denn: Neubau sei zu teuer.

Die dabei zugrunde gelegten Berechnungen zur kostendeckenden Nettokaltmiete für ein Einzelobjekt sind keine höhere Mathematik. In der verlinkten excel-Datei 150106_NKM kann sich jede/r nach seinen Ausgangsdaten eine Vorstellung davon machen: Betriebswirtschaft als kleines Computerspiel. Die frei wählbaren Startdaten sind jeweils fett gedruckt. Was passiert etwa, wenn statt 1 Prozent Abschreibungen 2 Prozent angesetzt werden. Was, wenn die Errichtungskosten (mit Grunderwerb usw.) statt 2000 vielmehr 2400 Euro pro Quadratmeter ausmachen.

Über manche Punkte gibt es nicht viel zu diskutieren. Etwa die 2000 Euro Errichtungskosten pro qm, die Verwaltungs- und Instandhaltungspauschalen – das alles sind im groben sachlich begründete Annahmen. Ein Punkt allerdings dominiert das Ergebnis: die Rendite auf das eingesetzte Kapital, die in den zwei Punkten Eigenkapitalverzinsung und Fremdkapitalzinsen auftaucht. Entscheidend ist der Ansatz der Fremdkapitalzinsen. Diese machen leicht über 50 Prozent der Nettokaltmiete aus. Im Gutachten schreibt Matthias Schindler höflich:

„Generell ist festzuhalten, dass jede zukünftige Kostenmiete weitgehend durch die Finanzierungskosten determiniert wird.“ (Seite 26)

Mit wohnungswirtschaftlichen Problemen hat die Höhe des Fremdkapitalzinses nichts zu tun. Hier geht es nur um das bürgerliche Eigentum und seinen Anspruch auf Verwertung. Ein Gutachten für eine immerhin sich „links“ nennende Partei hätte einen Moment an dieser Stelle verweilen können. Das vorliegende Gutachten tut das nicht. Im Gegenteil, selbst der Hinweis auf die seit 2008 niedrigen Marktzinsen wird mit Hinweis auf irgendwann sich wieder ändernde Konditionen abgebügelt. (Seite 22) Aus der Tabellenkalkulation ergibt sich, welche Angaben Matthias Schindler seinen Berechnungen etwa zugrunde gelegt hat: 2000 Euro Errichtungskosten, Abschreibung zu 2 Prozent, und: Fremdkapitalzinsen 5 Prozent. Und das bei einem Investment, dass durch den Träger – eine Berlin-eigene Wohnungsgesellschaft – nur noch einem Inflationsrisiko ausgesetzt ist!

Bei solchen Annahmen ist es kein Wunder, dass das Gutachten zu dem Ergebnis kommt, nur im Sinne einer gewissen Vorsorge sei die Errichtung neuen Wohnraums durch die städtischen Gesellschaften zu empfehlen. Eine sozial angemessene Miete könnte in neuen Beständen nur durch direkte Subvention erreicht werden. Diese Subventionen werden – wohl des Abschreckungseffektes wegen – hypothetisch genau ausgerechnet.

Das Ergebnis ist in einer etwas paradoxen Formulierung festgehalten:

„Die Entscheidung über die Versorgung mit bezahlbarem Wohnraum fällt dagegen weitgehend im Bestandswohnungsbau.“ (Seite 24)

– womit die Beziehung zwischen Bestand und Wohnungsneubau in einem zusammengesetzten Substantiv „Bestandswohnungsbau“ aufgehoben wurde, aber wohl nicht in einem dialektisch- progressiven Sinne. Tatsächlich konzentrieren sich die Ausführungen des Gutachtens darauf, die Anwendung neu zugeführten Eigenkapitals für die Instandhaltung und Modernisierung der vorhandenen Bestände der Wohnungsgesellschaften zu empfehlen. Denn – wenig überraschender Weise – kann mit der gleichen Menge Geldes eine größere Fläche umgebaut statt neu errichtet werden. (Seite 26/27) Nur entlasten noch so schön sanierte Räume den angespannten Wohnungsmarkt nicht, denn sie bilden kein neues Angebot. Nebenbei geht die Kalkulation von kräftigen Mietsteigerungen in den sanierten Wohnungen aus. Die – Vermietern immer schon lästige – Unterscheidung zwischen schlichter Instandhaltung und mieterhöhender Modernisierung ist nirgends zu erkennen.

Natürlich steht noch mehr im Gutachten. Es geht um Unternehmensziele und wie sie durchgesetzt werden, um Beihilferichtlinien und um eine künftig anzustrebende Steuerfreiheit für reinvestierte Gewinne der Wohnungsunternehmen. Auch die Möglichkeit des Aufkaufs von Wohnungen im Bestand durch die städtischen Gesellschaften wird beiläufig erwähnt. Matthias Schindler sieht hier auf einem insgesamt engen Markt ein Problem, zu Recht: Die Wohnungsgesellschaften als zusätzliche Käufer könnten die Immobilienpreise weiter nach oben treiben. Deshalb plädiert er aber nicht für Neubau, denn der ist ja zu teuer. Die verständnisvolle Argumentation in all diesen Punkten macht den Standpunkt des Gutachters deutlich: Über weite Strecke liest sich der Text wie ein Bündnisangebot an die Vorstände der sechs städtischen Wohnungsgesellschaften.

Ebenso interessant ist, was nicht im Gutachten steht: Kein Szenario für die soziale Entwicklung des Berliner Wohnungsmarktes, wenn der Anteil des privaten Sektors durch privaten Neubau weiter steigt. Keine Überlegung zur Mietentwicklung bei wachsender Konkurrenz auf dem Wohnungsmarkt. Keine Alternativen, die eine soziale Wohnraumversorgung möglich machen könnten.

Unbestrittene Grundlage aller Überlegungen ist die Anerkennung des quasi natürlichen Rechtes von privaten Investoren, dass ihre Anlagen etwa 4–5 Prozent abwerfen, sonst lohnt sich ja die Mühe des Investments nicht. Und wenn das bei der derzeitigen Lage des Landeshaushaltes heißt, dass Neubau zu teuer ist, dann sollte man es halt den Privaten überlassen. Mit einigem Abstand hat sich die Linke in diesem zentralen Punkt der Senatspolitik angeschlossen. Aus der Diskussion um den Wohnungsneubau in Berlin hat sie sich offiziell verabschiedet. Es bleibt allein die Frage, ob die LINKE damit ihre Koalitionsdisziplin nur instand gehalten, oder sogar modernisiert hat. In jedem Fall werden die Kosten dieser Kapitulation vor dem großen Geld auf die Berliner Mieterinnen und Mieter umgelegt.

Sebastian Gerhardt | Januar 2015







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